24h MTB Jihlava

Wenn alles andere nicht mehr wichtig ist

Mein persönlicher Rückblick auf mein erstes 24h-MTB Rennen nach 10 Jahren, der völlig belanglos wird, wenn man erfahren hat, dass ein anderer Radfahrer nach einem Sturz eben nicht mehr aufgestanden ist, sondern seinen Verletzungen erlegen ist. Nach ein paar Wochen, in denen ich mit mir gerungen habe, ob und wie ich diesen Bericht überhaupt schreiben sollte, bin ich zum Entschluss gekommen, diese kurze Einleitung voranzustellen.

Ein Mensch hat sein Leben verloren, völlig unerwartet und sicherlich viel zu früh. Damit sind erreichte Kilometer, Platzierungen und selbstgesteckte Ziele von einer Sekunde auf die andere vollkommen irrelevant. Ich habe ihn nicht gekannt, doch durch die gemeinsame Teilnahme an einem 24h Radrennen ist der tragische Unfall um ein vielfaches präsenter. Tagtäglich sterben viele (mit Blick auf Länder wie die Ukraine ganz sicher sogar viel zu viele) Menschen auf der Welt, und ich nehme das relativ problemlos als gegeben hin. Doch wenn das Schicksal so räumlich und inhaltlich nahe bei einem einschlägt, dann denke ich mir unweigerlich: „Sch…., das hätte auch ich sein können!“ Und damit habe ich wohl nicht völlig unrecht. Natürlich halte ich mich an mein Versprechen gegenüber meiner Frau und Tochter und gehe keine unnötigen Risiken bei einem Radrennen ein, doch eine 100%ige Garantie gibt es im Leben leider nicht. Somit ist es letztendlich vielleicht nur Glück, dass ich hier sitze und diese Zeilen schreiben kann. Dies macht mich dann doch sehr demütig, und alles was bleibt ist den Hinterbliebenen viel Kraft zu wünschen und mich aus Dankbarkeit, dass mir und ganz vielen lieben Menschen um mich herum nichts derart tragisches passiert ist, darum zu bemühen meine Zeit auf Erden möglichst positiv und sinnvoll zu nutzen.

In diesem Sinne, nun ein kurzer Rückblick auf meine Erlebnisse beim 24h MTB Rennen in Jihlava.

Anreise und Rennvorbereitungen: Eine Anreise mit der Bahn von Mödling nach Jihlava hat schon per se etwas Abenteuer-Charakter. Dieser wurde noch verstärkt durch die Tatsache, dass ich mit Fahrrad und Familie unterwegs war und auch noch die anschließende Konferenz in Dublin mitplanen musste. Aber mit etwas Geduld klappt alles und wir kommen am Freitag in Jihlava an und ich schaffe es planmässig mich zu registrieren und das Zelt an der Strecke aufzubauen. Die weitere Rennvorbereitung besteht darin im Billa vor Ort ein paar Müsli-Riegel zu kaufen und das obligatorische tschechische Bier zum Abendessen zu trinken.

Vor dem Start: Am Samstag noch in Ruhe mit der Familie frühstücken und dann gemütlich zur Fahrerbesprechung spazieren. Dabei passiert das erste Malheur und Sophia aufgrund von nicht richtig angezogenen Schuhen eine Blase am Fuß. Damit ist die ganze Fahrerbesprechung und die Aufregung vor dem Start für Sophia uninteressant, weil der sehr nette Sanitäter vor Ort leider nur ein einfarbiges Pflaster hat. Darum ist meine Familie halt nicht beim neutralisierten Start dabei, sondern auf dem Weg zurück zum Hotel auf der Suche nach dem richtigen Pflaster. Der zeremonielle Start führt uns dann auf den Hauptplatz wo bei strahlendem Sonnenschein noch einige Ansprachen stattfinden. Ich bin schon dadurch schon mal vor dem Start durch die Hitze müde.

Die ersten Stunden: Nach dem neutralisierten Start durch die Altstadt geht es zu Start und Ziel wo, das Rennen freigegeben wird. Ich bleibe absichtlich weit hinten im Feld, da ich das Rennen ja langsam angehen will. Damit ist ca. 100 Meter nach dem Start im ersten technischen Anstieg fahren schon mal unmöglich. Irgendwie frustrierend, wenn man nach 100 Metern schon mal schieben muss. Egal, ich bleibe erfolgreich ruhig und schwimme im hinteren Mittelfeld in der ersten Runde mit. In der zweiten Runde habe ich genügend der ganz langsamen Radfahrer überholt, dass genug Platz ist auch die technische erste Steigung zu fahren. Ich komme langsam in Schwung und merke gleichzeitig, dass es viel zu heiß ist, und ich deutlich zu wenig trinke und auch nicht zum essen komme. Der Elan ist jedoch zu groß, dass ich fünf Runden fahre bis ich zum ersten Mal stehen bleibe um meine Flasche zu füllen.

Runde 9 – der ersten Platten: Nach der ersten Pause zum Flasche füllen, komme ich wieder halbwegs in Schwung und pendle mich auf einen Rhythmus ein, jede zweite Runde die Flaschen zu füllen. In Runde 9 hänge ich mich an eine Radfaherin mit Radio an, und bin zum ersten Mal so richtig im Flow. Bis zur letzten Abfahrt, bei der ich einen großen spitzen Stein am Wegrand erwische und mir einen Platten einfahre. Egal denke ich mir, sind nur noch ein paar hundert Meter bis zum Zelt, da kann ich meinen Platten reparieren. Also schiebe ich mein Rad. Bei Zelt angekommen, fällt mir ein, dass ich eh die Pumpe und den Reserveschlauch dabei hatte. Dann kämpfe ich erstmal 10 Minuten mit der Steckachse bis ich endlich meinen Platten reparieren kann. Der Vorteil ist, dass ich mir endlich Zeit nehme etwas zu essen. Der Nachteil ist, dass meine kleine Pumpe nicht genug Druck in den Reifen bringt und das Hinterrad ordentlich eiert.

Runde 13 – der Nachfolgeplatten: Das eiernde Hinterrad wird geflissentlich ignoriert und ich versuche weiter meine Runden zu drehen. Die Hitze macht mir ziemlich zu schaffen und ich merke, dass die Wassermelonen und Apfelstücke bei der Verpflegung definitiv nicht genug Energienachschub bringen. Nach vier Runden gibt der Schlauch w.o., dieses Mal gottseidank direkt in der Wechselzone und ich schiebe mein Rad direkt zum Reparaturservice, dem ich meinen letzten Reserveschlauch in die Hand drücke. Die Inanspruchnahme dieses hervorragenden Services erweist sich als goldrichtig. Die Repartur ist schneller und vor allem nachhaltiger als meine eigene. Wieder mehr motiviert fahre ich weiter und treffe in der nächsten Runde Inga und Sophia an der Strecke. Das Wissen, dass das richtige Pflaster seinen Zweck erfüllt hat und es meinen beiden Damen gut geht beflügelt mich. Zusammen mit den endlich kühleren Temperaturen komme ich wieder besser in den Flow.

Runde 17 – Essen ohne Rücksicht auf Verluste: Der Kopf ist wieder motiviert, die Beine sind schon eher schwer und meine unzureichende Nahrungszufuhr macht sich zunehmend bemerkbar. Nach knapp 10 Stunden beschließe ich es darauf ankommen zu lassen und esse was es eben im Angebot gibt. Gulasch war mit dann doch zu hart, aber das Risotto ist nur ein wenig magenschonender. Egal, ich risikiere es, denn nur mit den Müsli-Riegeln oder der Wassermelone kann ich nie die 24 h überstehen. Die Pause wird auch gleich genutzt um das Licht zu montieren, somit sind die 40 Minuten Standzeit zwar lange, aber nicht katastrophal. Und der Plan geht auf. Nach ein, zwei Runden schafft es mein Stoffwechsel auch genug Energie aus der Hau-Ruck-Essensaktion zu ziehen und ich bin ziemlich zufrieden mit den letzten Tageslicht-Runden.

Runden 20 und 21 – mein Rendez-Vous mit der Brücke und das unerwartete Ende: Der wunderbare Lichtstimmung während dem Sonnenuntergang entschädigt mich für die zunehmend schweren Beinen in den kurzen knackigen Anstiegen. Die erste Runde in der Nacht macht richtig Freude. Doch in der zweiten Runde in der Nacht fädle ich mit meinem Lenker in einem Brückengeländer ein. Ich stürze zwar nicht, aber das unsanfte Bremsmanöver am Brückengeländer führt zu einem riesigen blauen Fleck auf meinem Oberschenkel in den nächsten Tagen. Da von weiss ich jedoch noch nichts. Ich richte meinen Lenker wieder aus, und fahre die Runde fertig. Die nächste Runde fahre ich auch noch, doch mein Gefühl sagt mir, dass ich jedenfalls eine Pause brauche. Die Entscheidung reift in mir, dass ich lieber rund um Mitternacht ein paar Stunden Pause mache und dafür die Sonnenaufgang-Runden wieder fahren kann. Somit lege ich mich nach ziemlich genau 12 Stunden in mein Zelt.

Das wiederum erscheint mir zunächst eine sehr dumme Idee. Da ich nie den Plan hatte zu schlafen habe ich natürlich keine Iso- oder Luftmatratze mit und auch keinen Schlafsack. So ist mir trotz Merinounterleiberl kalt und ich kann nicht schlafen. Ich liege also wach im Zelt und lausche meiner Umgebung. Nach nur sehr kurzer Zeit ist es absolut ruhig… und ich denke mir, da fährt ja niemand mehr… da verliere ich ja gar nix gegen meine Konkurrenten. Doch nach ein paar Stunden frieren wird mir klar, dass der einzige Weg wieder warm zu werden ist, wenn ich wieder weiterfahre. Ich rolle also zu Start und Ziel und kenne mich überhaupt nicht mehr aus, denn da steht nur „the race is interrupted“. Ich weiss ja nichts von dem tragischen Unfall…

Epilog: Walter informiert mich über WhatsApp dass das Rennen endgültig abgebrochen ist. Ich komme zum Frühstück wieder ins Hotel und kann den Tag noch mit Inga und Sophia verbringen, was definitiv ein dicker Pluspunkt ist. Und im Nachhinein betrachtet bin ich froh, dass ich nicht weitergefahren bin, denn vermutlich wäre ich in der nächsten Runde direkt zum Unfall gekommen und hätte wohl noch mehr mit dem tragischen Ausgang zu kämpfen.

Was bleibt ist ein ambivalentes Gefühl. Nichts von meinem Rennergebnis ist von irgendeiner Relevanz, gegeben der tragischen Umstände. Dennoch ist es eine unvollendete Geschichte. Die ca. 180 km und 3400 Höhenmeter in ca. 12h, trotz zweier Platten, sind durchaus ok, aber ich weiss auch, dass ich die zweite Hälfte nicht mehr so viel liefern hätte können. Somit ist der Wunsch da, mich besser vorzubereiten und wieder ein 24h MTB Rennen in Angriff zu nehmen. Davor muss ich aber in meinem Kopf noch damit klarkommen, dass meine naive Vorstellung, bei so einem Rennen passiert nix wirklich schlimmes, leider nicht immer hält. Gleichwohl, der Blitz schlägt nicht zwei Mal an der gleichen Stelle ein, oder?